Armut kennen wir nur aus fernen Ländern, schließlich haben wir ja ein Sozialsystem, welches keine Wünsche offen lässt.
Doch wer seine Augen nicht verschließt und aufmerksam durch die Welt geht, der kann die Armut auch hierzulande erkennen. Die Armut ist leise, sehr leise, denn wer von Armut betroffen ist, der schämt sich für gewöhnlich für seinen Zustand. Wer arm ist, macht nicht laut Party oder Bambule. Er fühlt sich nicht mehr als normaler, vollwertiger Mensch, sondern irgendwo jenseits der Menschenrechte.
Dies liegt daran, dass man als armer Mensch vom sozialen Leben ausgeschlossen wird. Das passiert automatisch, wenn man kein Geld mehr zum Ausgehen oder für Kultur übrig hat. Man konzentriert sich auf Miete und Nahrung und wenn etwas Geld übrig bleibt manchmal eben auch noch auf Betäubungsmittel, wie Alkohol und Co.
Ein wirklich armer Mensch traut sich nicht in ein nobles Restaurant hineinzugehen, weil sein Ego dermaßen in Mitleidenschaft gezogen wurde, dass ihm das Selbstbewusstsein hierfür einfach fehlt. Schon der Gang in den Supermarkt kostet Überwindung. Und dieses Verhalten spiegelt sich auch auf die Arztbesuche wieder.
Man versucht irgendwie zu leben, ist aber mehr mit überleben beschäftigt.
Auch ich hatte schon Zeiten, wo ich nichts mehr zu essen zuhause hatte. Man muss sich überwinden, dass man sich traut aufs Arbeitsamt/Jobcenter zu gehen, um dort die einem zustehenden Leistungen zu erbetteln. Ich wurde dort damit abgefertigt, indem man mir sagte, dass man nicht für mich zuständig sei. Das war bitter.
Ich bin zwar blöd und chaotisch, aber ich kenne meine Rechte und wusste genau, dass die Sachbearbeiter dort sehr wohl für mich zuständig waren. Doch wenn das Ego angeknackst ist, schafft man es nicht immer im richtigen Moment laut und wütend zu werden. Armut ist eben leise, sehr leise.
Weil ich nicht verhungern wollte, legte ich die Karten auf den Tisch und sagte, dass ich nichts mehr zu essen zuhause hätte. Da entgegnete man mir, dass ich ja eh schwarz arbeiten gehen würde. In diesem Moment verschlug es mir die Sprache. Heute erkenne ich darin die Unterstellung einer Straftat, was in Deutschland ja verboten ist. Doch damals fühlte ich mich klein und mies, eben wie ein Stück Dreck.
Ich sagte noch, dass ich nicht schwarz arbeiten gehen würde und zum Beweis 24 Stunden bei ihr vor der Türe sitzen könne. Wie sonst konnte ich beweisen, dass ich nicht schwarz arbeiten gehe? Aber mein Vorschlag wurde herablassend abgelehnt. „Jetzt übertreiben se ma nich!“
Jedenfalls glaube ich, dass ich das Gefühl nachempfinden kann, was das Ausgestoßen sein aus der Gesellschaft bezüglich Armut angeht.
Als Deutscher Arbeitsloser gibt es kaum Anlaufstellen, wo man sich Beratung und Unterstützung suchen kann. Und wenn es diese Stellen gibt, dann sind sie vielen einfach nicht bekannt.
Was meine Situation damals auf dem Amt betrifft, so bin ich nach dieser Abfertigung direkt zur Polizei gegangen. Nicht um die Sachbearbeiterin wegen Unterlassung anzuzeigen, nein. Sondern weil ich mir nicht mehr anders zu helfen wusste. Ich wollte nicht verhungern. Ich wollte meine mir zustehende Leistung. Aber noch mehr wollte ich eine respektvolle Behandlung auf dem Amt.
Mit meinem Besuch bei der Polizei erhoffte ich mir, dass ich die Beamten dazu bringen kann, dass sie mit mir aufs Arbeitsamt gehen und dort dafür sorgen, dass ich respektvoll behandelt werde und zu meinem Recht komme.
Beim Betreten des Reviers fiel mir ein Plakat mit der Aufschrift „Vorbeugung“ auf, aber es bezog sich eigentlich auf Wohnungseinbrüche. Inspiriert von diesem Wort sagte ich zu dem Polizisten, dass ja auch „Vorbeugung“ zu ihren Aufgaben gehören würde und dass ich auf dem Amt derart mies behandelt werde, dass ich dort unmittelbar im Begriff wäre, eine Straftat zu begehen.
In diesem Moment schmunzelte ich ein bisschen, was dem Polizisten auffiel und er sagte „Da, sie schmunzeln ja noch.“ Aber dieses Schmunzeln gelang mir nur deswegen, weil ich dieses Drama aus der Totalen betrachtet habe. Ich sah mich bei der Polizei um Hilfe betteln. Das war irgendwie komisch. Doch in mir drin sah es eigentlich gar nicht nach Schmunzeln aus.
Jedenfalls plagen einen komische Gedanken, wenn man merkt, dass man nicht zu seinem Recht kommt. Diese Gedanken kann ich aus juristischen Gründen hier nicht wiedergeben. Aber glauben Sie mir, da ist man selbst überrascht, was einem da so einfällt.
Die meisten armen Leute sind aber eigentlich herzensgute Menschen.
Bei Flüchtlingen setzen wir Sozialarbeiter ein, die dafür sorgen, dass die Flüchtlinge zu ihrem Recht kommen und sie ihre ihnen zustehende Leistungen bekommen. Das finde ich gut. Aber genau diesen Service hätten auch die Deutschen verdient, wenn sie in Not geraten.
Damit Flüchtlinge nicht Obdachlos werden, werden schon mal ganze Hotels gemietet. Auch das finde ich nicht schlimm. Nur sehe ich eben auch all die ganzen Obdachlosen, die sich über solch eine Behandlung sehr freuen würden. Ohne viel Bürokratie eine Wohnung – das wäre ein Traum für fast Jeden auf der Straße.
Mein Résumé: Eigentlich wünsche ich mir ein Land, welches all seine Menschen GLEICH behandelt.
Die Erfahrungen auf dem Arbeitsamt machte ich 2004 in Berlin-Treptow-Köpenick. Das Jobcenter gibt es erst seit 2010.