Chapter 02

Kriegs-Spiel – Chapter 02 – Philippe wird vorgestellt

Im Gehäuse des ehemaligen Persönlichen Computers von Philippe schlüpfte gerade ein Küken. Er hatte dieser modernen Technik abgeschworen. Kein Internet mehr. Die Einkaufsgewohnheiten der Moderne, wo man noch nicht einmal das Haus dazu verlassen musste, waren ihm irgendwann suspekt geworden. Dieser Liefer-Service, wo Dronen den Einkauf lieferten, all das wurde doch nur staatlich gefördert, weil es der Isolation der Menschen diente. Philippe war sich sicher, der Staat wollte seine Bürger in kleinstmögliche Partitionen aufteilen. Und die kleinste Aufteilung einer Menschenansammlung war nun mal ein einzelner Mensch.

Vereinzelung – ein Plan der Regierung?

In seinem Brutkasten sorgte der PC-Lüfter für genügend Luftverwirbelung, dass es oben und unten nahezu gleich warm war. Eine schwache Glühbirne sorgte für ausreichend Wärme. Wenn ein Küken schlüpfte, so nahm es Philippe aus dem Brutkasten, wog es und setzte es dann in einen Bettkasten. Der gesamte Bettkasten war zu einem einzigen Küken-Käfig umgebaut worden. Das Küken würde dort nicht einsam sein. Im Bettkasten waren weitere Küken. Sie fiepten zufrieden vor sich hin.

Kommerzielle Nahrung wurde billigst produziert. Dies war nicht in Philippes Sinn. Er wollte ein Maximum an Qualität auf dem Teller haben. Gleichzeitig wollte er ein Maximum an tiergerechter Haltung den Tieren bieten. Private Tierhaltung war seit einigen Jahren illegal, dennoch hatte seine Familie Hühner hinter dem Haus. Philippes Familie lebte etwas abseits. Höchstens den Del-Dros (Delivery-Drohnen) hätte die illegale Hühnerhaltung auffallen können. Diese Drohnen hatten ja eine Kamera, die neben dem Weg auch Ordnungsverstöße aller Art ins Auge nahm. Diese Verstöße wurden direkt an das „Amt für Leben nach dem Gesetz“ weitergeleitet. Aber weil Philippe und seine Familie nichts im Internet bestellten, fand diese Art der Drohnen-Lieferung ja nie statt. So hatte Philippes Familie eine Lebensform gewählt, die als höchst unmodern galt, aber gewisse Freiräume einräumte.

Würde eine Del-Dro einen Verstoß wie „illegale Tierhaltung“ feststellen, so bekäme dieser Haushalt ein Schreiben, in welchem er dann erklären konnte, dass bsw diese Hühner hinter dem Haus einen Befall darstellten und umgehend getötet wurden. Dann würde man das ganze noch einmal überprüfen, ob dort wirklich keine Hühner mehr lebten. Und wenn dies der Fall war, ging alles weiter, wie bisher. Wären diese Hühner noch vor Ort, so würden die Drohnen Feuer spucken und die Hühner verbrennen.

Selbst wenn dabei das Haus Feuer fing und abbrennen würde, wäre dieser Einsatz rechtens. Denn die Medien hatten auf die Gefahr von irgendwelchen Viren hingewiesen, die jegliche Vögel haben könnten, und die eben auch auf den Menschen übertragbar seien. Den Menschen war zwar kein Fall bekannt, aber wenn es die Medien so berichteten, dann musste es wohl so sein. Dies glaubten eigentlich alle Menschen, weswegen neue Gesetze, wie bsw das Verbot der Tierhaltung, ohne Widerspruch akzeptiert wurden. Philippe glaubte an diese Gesetze, die angeblich nur zum Schutze der Menschen sein sollten, so jedoch nicht.

Philippe sah darin die Absicht, die Menschen von Eierlieferanten abhängig gemacht werden sollten. Die Firma Grüne Wiesen-Freude, die auch den Politikern beim Ausformulieren neuer Gesetze half, war der Eier- und Milch-Lieferant schlechthin. In Verschwörungstheoretiker-Kreisen munkelte man, dass die Hühner nie eine grüne Wiese zu Gesicht bekämen. Dies sagte man auch über den Standort der Kühe. Philippe war sich sicher, dass diese Tiere ebenso gequält wurden, wie es seinerzeit KZ-Häftlinge auch wurden, die bsw Schwul oder Staatskritisch waren.

Philippe wollte in seiner Welt mehr Gerechtigkeit. Die Medien verzogen und verängstigten die Bürger in seinen Augen. Die PZD (Propaganda Zentrale Deutschland), die die Medien-Steuer einzog und verwaltete, betrieb eine rege Zusammenarbeit mit der Industrie. Es war nicht abwegig zu glauben, dass hiermit das Volk beeinflusst wurde. Wer schaffte es schon, sich der Medien-Maschinerie zu entziehen?

Irgendwie hatte jeder einen Persönlichen Computer. Der darin eingebaute TV-Modus sowie das Internet waren Dank der PZD fest in der Hand weniger großen Medien. Sie schalteten Synapsen über subliminal Messages, unterschwellige Botschaften, die dem Menschen seinen freien Willen raubte. Die Freiheit war ein angeblich hoch gepriesenes Gut dieser Gesellschaft. Was diese Gesellschaft nicht wusste: sie hatte längst keine Freiheit mehr. Solange es nur keinem Menschen auffiel, ginge alles gut.

Philippe war es längst aufgefallen. Er trug eine Wut in sich herum, die ihn unbekümmert werden ließ. Er war bereit zu sterben, wenn er nicht frei leben konnte. Die Möglichkeit, frei zu leben war tatsächlich gefährdet. Jederzeit konnte ihr Haus, welches im Zentralregister als „unbewohnt“ geführt wurde, eingerissen oder verkauft werden. Dabei hatten es die Großeltern seinerzeit selbst aufgebaut. Die Grundsteuer wurde irgendwann jedoch so hoch, dass die Eltern sie nicht mehr bezahlen konnten. Nach dreimaligem Ausbleiben der Grundsteuer fiel das Haus der Stadt zu, so war das Gesetz.

Wäre das Haus nicht so verratzt und nicht so weit abseits gelgen, gewiss hätte sich ein neuer Besitzer gefunden. Die Menschen, die sich jedoch ein Haus leisten konnten, kauften fast nie eine solche Bruchbude. Wahrscheinlich würde die Stadt sie irgendwann abreißen und dann etwas Neues bauen. Doch bislang gab es hierfür keine Pläne und Anzeichen.

Es gab eh zu viele Steuern: PZD-Steuer, Grundsteuer für Haus und Hof, Steuer zur Erhaltung der Freiheit (eine Steuer, die speziell zum Wohl der Bürger eingeführt wurde), und dann die gute alte Mehrwertsteuer – die Herrscher verstanden wie ihr Volk zu plündern war.

Die ganzen Steuern erinnerten an die Ablass-Briefe aus dem Mittelalter: Wer sie sich leisten konnte, konnte sich damit seine Freiheit erkaufen. Er konnte sich von seinen Sünden frei kaufen und so das Gesetz zu seinen Gunsten beugen. Manche Menschen schafften es, nach gewissen Regeln leben zu können.

Immer mehr Menschen wurden jedoch aus dieser Gesellschaft gedrängt. Sie bildeten ihre eigene Gesellschaft, die Gesellschaft der Ausgestoßenen. Diese Menschen waren meist handwerklich geschickter und hatten die kreativeren Einfälle. Sie wussten sich zu helfen, sonst wären sie längst verstorben. Es wurden immer mehr Menschen, die keine Steuern mehr bezahlen konnten. Damit erlosch zwar auch die medizinische Versorgung und das Recht, an Wahlen teilzunehmen. Da diese medizinische Versorgung aber derart dürftig war, fiel der Verzicht darauf nicht so schwer. Und die Wahlen waren ein Theaterstück sondergleichen.

So lange eine Partei in der Opposition war, kritisierte sie gewisse Dinge. War diese Partei selbst aber an der Macht, so handelten alle Parteien gleich. Sie handelten so, wie es die Industrie und gewisse Weltregierungen von ihnen erwarteten. Lediglich die Personen, die das Vorgehen in der Politik dem Volk erklärten, wurden bei einer Neuwahl ausgetauscht. Die Macher im Hintergrund blieben dieselben.

Das Haus, in welchem Philippe wohnte, war vom Strom abgetrennt. Wieso nur kam trotzdem Strom aus der Steckdose? Das Haus hatte Solarzellen auf dem Dach. Damit aber auch nachts elektrische Energie vorhanden war, hatte Philippes Dad sich etwas Kluges ausgedacht: Weil Chemikalien schwierig zu bekommen waren, hatte er nach einer Speichermöglichkeit gesucht, wie Energie einfach gespeichert werden kann.

Bei Lichteinwirkung auf die Solarzellen entstand ein Strom, welcher einen Elektromotor antrieb. Dieser Elektromotor zog über ein Seil und einen Seilzug einen Mühlstein nach oben. Bei Nacht sorgte dann die Erdanziehung dafür, dass die so entstandene Kraft (potentielle Energie) in Elektrizität umgewandelt wurde. War der Mühlstein ganz oben, so konnte drei Nächte lang hintereinander Energie erzeugt werden. Da aber der Tag nie so dunkel war, dass der Mühlstein überhaupt nicht nach oben gezogen werden konnte, hatte diese Energie-Speicherung ausreichend Puffer, für düstere, verregnete Gewitter-Tage.

Dieses System der Energiespeicherung machten sich viele Aussteiger zu Nutze. Philippes Vater half bei der Planung und dem Bau solcher Speicheranlagen oft mit. Er hatte es ja auch entworfen.

Die Stangen der Schilder, die im Straßenverkehr überall zu haben waren, wurden gerne für den Bau einer solchen Energie-Speicher-Anlage verwendet. Damit sie unter der Last des Mühlsteins nicht zusammenklappte, mussten sie nach dem zusammenstecken noch mit Beton gefüllt werden. Es war die Erfahrung, die aus diesem gefährlichen Handwerk einen entspannten Zuverdienst machte.

Newton hatte mit seinem Gravitationsgesetz 1680 eigentlich den Grundstein für diese Erfindung gelegt. Würde er heute noch leben, müsste man ihm dankbar dafür sein. Womöglich müsste man ihm und seinen Anwälten für die Benutzung der Gravitation und das dafür vergebene Patent eine Gebühr bezahlen. Doch damals war diese Erfindung neu und die Patent-Rechte waren noch nicht ausgereift genug. Heute wäre dieser Vorgang sicherlich anders verlaufen.

Aber was interessierten die Aussteiger schon irgendwelche Gesetze. Sie lebten eigentlich alle nach dem Motto: Wir sind frei. Lasst uns entweder so leben oder jagt uns und tötet uns dafür. We don’t care!

Sicher waren alle Menschen darum bemüht, nicht getötet zu werden. Das Leben, auch wenn es hart war, hatte trotz des minimalen Luxus genug zu bieten, dass man es achtete. Man half sich gegenseitig, besonders bei drohender Gefahr oder irgendwelchen Nöten. In der herkömmlichen Zivilisation gab es Handwerker und Rettungskräfte, die man im Notfall rief. Diese musste man nach ihrer Hilfe bezahlen. Bei den Aussteigern war es einfach normal, dass man sich gegenseitig half.