Der Cum-Ex-Skandal

Über viele Jahre hinweg haben sich Banker, Top-Anwälte und Steuerberater vom Staat Steuern erstatten lassen, die sie zuvor nie gezahlt haben. Dieser illegale Griff in die Staatskasse hat den Fiskus mehrere Milliarden Euro gekostet.

Wie funktionieren Cum-Ex-Geschäfte?

Ein Vergleich, der dabei hilft, das Cum-Ex-Prinzip zu verstehen: Wer eine Pfandflasche zum Getränkeautomaten bringt, bekommt einen Bon und erhält an der Supermarktkasse sein Geld zurück. Wer jedoch mit krimineller Energie einen echten Pfandbon auf den Kopierer legt und mithilfe dieser gefälschten Pfandbons dann Geld kassiert, welches er zuvor nie bezahlt hat, der betrügt die Kasse.

Nach diesem Prinzip liefen die Cum-Ex-Geschäfte ab. Nur, dass die Akteure keine Pfandbons kopierten, sondern mit abgesprochenen Aktiengeschäften vortäuschten, zu einem bestimmten Zeitpunkt Aktien besessen zu haben und dafür Steuern auf entsprechende Aktiengewinne gezahlt zu haben. Auf diese Weise erschlichen sie sich Steuerbescheinigungen. Mit diesen ließen sie sich dann Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Die „Kasse“ war dabei das Finanzamt, das Milliardensummen auszahlte.

Die Hamburger Privatbank MM Warburg hat, wie viele andere Banken auch, mit diesen illegalen Cum-Ex-Geschäften Millionen verdient. Nachdem das Landgericht Bonn 2019 die Bank zur Rückzahlung der Cum-Ex-Beute verdonnert hatte, erstattete die Bank das Geld an den Fiskus. Ihre steuerliche Beurteilung der Cum-Ex-Geschäfte, so teilt es die Bank zuletzt mit, habe sich als falsch erwiesen. „Die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands von M.M. Warburg & CO missbilligen unrechtmäßige Steuergestaltungen jeder Art.“

2016 schaltete sich dann das Hamburger Finanzamt ein und prüfte, ob die Warburg-Bank die Cum-Ex-Beute wirklich zurückzahlen müsse. Allein für Cum-Ex-Geschäfte aus dem Jahr 2009 sollte die Bank 47 Millionen Euro erstatten. Lange Zeit sah es so aus, als würden die Finanzbehörden hart durchgreifen. Doch im November 2016 verzichtete das Finanzamt „wegen juristischer Risiken“ plötzlich auf die Millionenzahlung.

Durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln kamen später Tagebücher des Warburg-Eigentümers Christian Olearius ans Licht, in welchen der Banker beschrieb, dass der einflussreiche SPD-Politiker Johannes Kahrs und der frühere SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk ihm Hilfe zugesagt hätten.

Zudem traf sich Olearius im fraglichen Zeitraum drei Mal mit dem damaligen Ersten Bürgermeister der Hansestadt und heutigen Bundeskanzler, Olaf Scholz (geht aus dem Tagebuch hervor). Laut Olearius soll es um Cum-Ex gegangen sein, Scholz gab vor Gericht an, sich nicht an die Inhalte der Gespräche zu erinnern.

Seit Bekanntwerden der Tagebücher steht die Frage im Raum, ob es im Fall Warburg eine politische Einflussnahme gab. Ein Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft geht dieser Frage nach. Auch die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen Kahrs, Pawelczyk und die für die Warburg-Bank zuständige Finanzbeamtin wegen des Verdachts der Begünstigung.

Gegen Scholz und den damaligen Finanzsenator und heutigen Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher wird nicht ermittelt. Alle beteiligten Politiker und Finanzbeamten bestreiten eine politische Einflussnahme. Die Warburg-Bank schreibt in einer Stellungnahme, eine unzulässige Einflussnahme habe sich ihres Erachtens nicht ergeben.

Beweise gibt es nicht, einige Indizien sind jedoch noch ungeklärt. So rief der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz am 9. November 2016 Christian Olearius an. In dem Telefonat, so hielt es der Warburg-Eigentümer in seinem Tagebuch fest, soll Scholz ihm geraten haben, eine Verteidigungsschrift der Warburg-Bank kommentarlos an den Finanzsenator Peter Tschentscher weiterzuleiten.

Scholz erklärt, er könne sich nicht mehr an den Inhalt des Telefonats erinnern. Tatsächlich leitete Olearius das Schreiben an Tschentscher ohne Kommentar weiter, der es – mit seiner grünen Ministertinte versehen – den zuständigen Finanzbeamten zukommen ließ. Kurz darauf entschieden die Beamten abweichend von früheren Einschätzungen, auf das Cum-Ex-Geld zu verzichten.

Zwei Tage nach der Bundestagswahl durchsuchten NRW-Fahnder die Hamburger Finanzbehörde sowie die Wohnungen von Johannes Kahrs und der Finanzbeamtin.

Bei der Razzia stellten die Ermittler unter anderem einen verdächtigen WhatsApp-Chat der Beamtin sicher. Just an jenem Tag, an dem die fragwürdige Entscheidung zu Gunsten der Warburg-Bank fiel, schrieb sie einer Freundin, ihr teuflischer Plan sei aufgegangen. Ob man verjähren lasse, fragte diese zurück. Die Finanzbeamtin bejahte.

Bei der Auswertung der sichergestellten E-Mail-Postfächer der Hamburger Steuerverwaltung hingegen stießen die Ermittler auf eine verdächtige Leere. Die Strafverfolger gehen nun der Frage nach, ob in der Hamburger Finanzverwaltung relevante Mails gelöscht wurden. In diese Richtung äußerte sich auch der IT-Chef der Hamburger Steuerverwaltung vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss. Demnach hätten Löschungen stattgefunden. Die Hamburger Finanzbehörde erklärte auf Anfrage, ihr lägen keine Erkenntnisse zu Löschungen vor.

Kritiker werfen Olaf Scholz vor, seine Erinnerungslücken im Fall Warburg seien unglaubwürdig und fordern den Kanzler auf, zur Aufklärung beizutragen. Schon in der Bundespressekonferenz am 11. August 2022 wiederholte Scholz, es habe keine Einflussnahmen gegeben, „was die Entscheidung betrifft“. Insofern wäre es eine große Überraschung, wenn der Kanzler bei seiner zweiten Befragung als Zeuge plötzlich neue Erinnerungen präsentieren würde.

Der mediale Aufschrei war groß, als bekannt wurde, dass im Rahmen der Cum-Ex-Razzia in einem Schließfach von Johannes Kahrs bei der Hamburger Sparkasse mehr als 200.000,- Euro in bar gefunden wurden. Doch zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses Geld im Zusammenhang mit Cum-Ex steht. Aus diesem Grund haben es die Kölner Ermittler auch nicht beschlagnahmt.

Derzeit gibt es keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass Olaf Scholz in das Steuerverfahren der Warburg-Bank eingegriffen hat. E-Mails aus seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister waren kaum auffindbar, Zeugen im Untersuchungsausschuss entlasteten ihn. So sehen es offenbar auch die Ermittler in Hamburg und Köln.

Da sich Scholz nicht an die Treffen mit dem Warburg-Eigner erinnert, könnte allenfalls von Christian Olearius ein Aufklärungsbeitrag erbracht werden. Der Privatbankier wird sich wohl demnächst vor dem Landgericht Bonn verantworten müssen. Ihm droht dann eine hohe Haftstrafe. Womöglich erinnert er sich an weitere Details der Treffen mit dem Ersten Bürgermeister und kann aussagen, wie Scholz auf Olearius‘ Erwartung reagierte, dass sich die Steuerrückforderung in „weiße Wölkchen“ auflösen, wie es ein Anwalt der Warburg-Eigner einmal formulierte.

eigentlich alles geklaut von ARD tagesschau (an manchen Stellen etwas verändert)