Diplomatische Immunität

Als ich meine Ausbildung zum Bademeister (Fachangestellter für Bäderbetriebe) gemacht habe, durfte ich einen eintägigen Kurs bei der IHK Waiblingen machen, in welchem man mich zum Ausbildungsbotschafter ausbildete.

Ein Ausbildungsbotschafter ist ein Azubi, der seinen Ausbildungsberuf bei potentiellen Neuazubis in Schulen vorstellt. Hierbei wird ein lässiges Auftreten gefordert und man sollte keine Angst haben, vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen.

Ich hatte dort eine großartige Zeit und habe als Dank dafür eine Urkunde erhalten, die mich als Ausbildungsbotschafter auszeichnete. Ich stehe nur nicht so sehr auf derartige Auszeichnungen und fragte mich, was ich mit dieser Auszeichnung schon groß anfangen könnte.

Da kam mir eine Idee.

Es wurmt mich ja schon seit einiger Zeit, dass es in Deutschland Menschen gibt, die über dem Gesetz stehen. Alle Menschen sollten doch vor dem Gesetze gleich sein. Das Zeichnet ein gesundes Rechtssystem doch aus! Weil Diplomaten aber Halbgötter sind, wollte ich da auch dazu gehören.

Und jetzt, wo ich als Ausbildungsbotschafter in Deutschland aktiv war, wem hätte da nicht mehr ein „Diplomatenstatus“ zugestanden, als mir?

Diese Idee fand ich so gut, dass ich diesen Diplomatenstatus wie folgt beantragte:

AndY Bayer Schorndorfer Straße 53 73614 Schorndorf

Auswärtiges Amt
diplomatische Immunität
D – 11013 Berlin

10.11.2012

Antrag auf „diplomatische Immunität“ (Diplomaten-Status)

Sehr geehrte Damen und Herren,

anbei eine Farbkopie der Urkunde, die Ihnen den staatlichen Beweis liefert, dass ich als Botschafter in Deutschland aktiv bin. In diesem Zusammenhang wollte ich um die Anerkennung als Botschafter und die dazugehörige „diplomatische Immunität“ bitten.

Ein Lichtbild ist ebenfalls beigefügt.

Sollten Sie weitere Formalitäten benötigen, so lassen Sie mich dies umgehend wissen, damit ich diese nachreichen kann.

Hochachtungsvoll und mit freundlichen Grüßen

Andy Bayer


Für mich war dieser ein Gag eine zum Scheitern verurteilte Bewerbung auf einen Posten, welchen ich wahrscheinlich nicht bekommen würde. Derartige Bewerbungen hatte ich schon zuhauf geschrieben. Also nichts besonderes. Und so wartete ich auf die Absage in der Hoffnung, dass sie vielleicht lustig sein würde.


Das Antwortschreiben des Auswärtigen Amtes Berlin vom 15.11.2012 in Textform:

Betreff: Titelmissbrauch

Sehr geehrter Herr Bayer,

auf Ihr am 13. November 2012 im Auswärtigen Amt eingegangenes Schreiben darf ich Ihnen mitteilen, dass der von Ihnen begehrte Diplomaten-Status lediglich den vom jeweiligen Entsendestaat vorgeschlagenen und vom Auswärtigen Amt bestätigten Angehörigen ausländischer diplomatischer Missionen zusteht.

Der Ihnen mit der Teilnahmebestätigung vom 5. November 2012 durch die IHK Region Stuttgart – Bezirkskammer Rems-Murr verliehene Titel eines „Ausbildungsbotschafters“ verleiht Ihnen keinerlei diplomatische Befreiungen bzw Vorrechte.

Ich darf Sie im übrigen darauf aufmerksam machen, dass gemäß § 132 a Strafgesetzbuch der Missbrauch von Titeln unter Strafandrohung steht.

Die IHK Region Stuttgart – Bezirkskammer Rems-Murr erhält ein Durchdruck dieses Schreibens.

Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag

Guido Viehauser


Das Auswärtige Amt schien keinen Spaß zu verstehen. Sie drohten mir gleich mit dem Strafgesetzbuch. Ich ein Straftäter? Das verletzte meine Ehre. Diesen Umstand musste ich unbedingt klarstellen. Und so schrieb ich noch folgenden Brief:


AndY Bayer Schorndorfer Straße 53 73614 Schorndorf

Auswärtiges Amt
Herr Guido Viehauser
D – 11013 Berlin

22.11.2012

Antrag auf „diplomatische Immunität“ (Diplomaten-Status)

Ihr gewählter Betreff: Titelmissbrauch (701 – 701.69 Bayer)

Sehr geehrter Herr Viehauser,

ich muss zugeben, dass mir die genauen Bedingungen für den Diplomaten-Status nicht bekannt waren. Gemäß dem Grundgesetz Artikel 3 dachte ich aber, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind.

Mit dieser Annahme kam mir der Gedanke, dass alle Menschen den gleichen Anspruch auf „diplomatische Immunität“ haben könnten. Wer aber darüber hinaus noch „Ausbildungs­botschafter“ ist und sich in einer wichtigen Mission befindet, der, so dachte ich zumindest, sollte schleunigst den Diplomatenstatus beantragen.

Dass diese Rechnung so nicht aufgeht habe ich jetzt gelernt, vielen Dank!

Ihr Schreiben, welches per Einschreiben am 21.11.2012 bei meiner Mitbewohnerin abgegeben wurde, hat mir aber auch gezeigt, dass ich das Grundgesetz besonders mit dem Artikel 3 Absatz 1 „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ irgendwie falsch verstanden haben muss, denn Diplomaten haben doch Sonderrechte bzw. Vorrechte, oder? Oder anders ausgedrückt: Alle Nicht-Diplomaten werden im Vergleich zu den Diplomaten doch benachteiligt, oder nicht?

In Artikel 3 Absatz 3 heißt es außerdem: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Stellt der Diplomatenstatus dann nicht einen Bruch des Artikel 3 des GGs dar?

Werden alle Nicht-Diplomaten vielleicht sogar diskriminiert?

Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.

Übrigens geht oder ging es mir nicht um eine verbotene Titelmissbrauchsgeschichte, weswegen ich Sie im übrigen darauf aufmerksam machen möchte, dass gem. § 164 Strafgesetzbuch „falsche Verdächtigungen“ unter Strafandrohung steht.

Mit freundlichen Grüßen

Andy Bayer – Ausbildungsbotschafter


Nach diesem Schreiben rechnete ich mit wirklich allem. Ich speicherte all meine Daten auf externen Festplatten, die ich in meinem Zimmer versteckte, dass wenn das SEK vorbei kommen würde und meine Wohnung stürmen würde und mein Equipment mitnähme, ich wenigstenz die wichtigen Daten noch hätte. Doch ich hatte Glück: ich blieb verschont. Es kam niemand vorbei.

Wenn Euer Leben auch langweilig ist und Ihr mutig sein wollt, dann sucht Euch einen mächtigen Gegner und battelt Euch mit dem. Ich zumindest hatte eine Phase in meinem Leben, wo ich genau das für COOL hielt. Heutzutage bin ich eher ruhig und introvertiert. Ich spiele meinen Mitmenschen erfolgreich vor, als hätte ich meine innere Mitte gefunden…

Die IHK Waiblingen, die ja vom Auswärtigen Amt in Kenntnis gesetzt wurde, war leicht nervös. Ehrlich gesagt waren die Menschen dort sogar sehr nervös. Als ich der IHK dann noch meine Briefe zum vollständigen Verständnis zukommen ließ, versuchte mich eine engagierte Dame der IHK davon abzubringen, meinen letzten Brief so abzuschicken. Da ich diese Reaktion aber erwartet hatte, habe ich der IHK erst Einsicht in meinen Brief gewährt, als dieser Brief bereits auf dem Weg nach Berlin war.

Ich glaube, genau so muss sich Punkrock anfühlen…