Chapter 01

Das Kriegs-Spiel – Chapter 01

Als ich noch ein Kind war, dachte ich immer, dass wenn zwei Länder sich nicht auf diplomatischer Ebene einigen können, die Regierungs-Chefs der betroffenen Länder in den Ring steigen würden und es dort austragen würden. Der Gewinner würde dann seine Fordderungen erfüllt bekommen und alles wäre geregelt. Weil diese Art von Konfliktlösung aber von den Regierungs-Chefs vermieden werden wollte (wegen blauer Flecken und Verletzungsgefahr), waren die führenden Herrscher immer zuvor an einer friedlichen Lösung interessiert.

Erst im Geschichtsunterricht und in Religion lernte ich dann das Berufsbild des Ritters bzw des Soldaten kennen. Meine anfängliche Bewunderung für dieses Berufsbild wich nach und nach immer mehr der Verachtung. Wie konnte man als Staat oder König nur Menschen dazu ausbilden, dass diese auf Zuruf ohne zu überlegen in den Krieg zogen und andere Menschen umbrachten?

Killer der Mafia bekommen ja auch Geld dafür, dass sie unkooperative Menschen umbringen. Kein normaler Mensch hätte jemals den Killer der Mafia mit einem Ritter oder einem Soldaten verglichen. Ich tat dies. In meiner Welt war es die gleiche Tat: Mord für Money. Auch das Ergebnis war dasselbe: Der Mörder (egal ob Soldat, Killer oder Ritter) wurde durch seine Taten reicher und die Weltbevölkerung etwas verknappt.

Staatliche Medien erklären fleißig den Unterschied: Soldaten töteten ja nur, wenn es wirklich nicht anders ginge. Dies soll aus irgend einer unlogischen Logik ehrenhaft sein. Nur die Mafia tötet auch nicht aus Spaß am Töten, sondern eben auch nur dann, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Dazu gab es zumindest im Kino viele Killer mit einer heldenhaften Ideologie.

Wer unterscheidet überhaupt zwischen nötigem Mord und nicht nötigem Mord? Wäre alles Lebensnotwendige auf der Welt kostenlos, so würde es nahezu keine Räuber geben. Auch Einbrüche würden wahrscheinlich drastisch zurück gehen. Wie viele Einbrecher sind wohl schon bei ihren Taten überrascht worden und halfen sich in letzter Sekunde mit Gewalt? Wie viele Einbruchsopfer wären wohl noch am Leben?

Henker gab es in Deutschland ja keine. Es gab aber eine Berufssparte, die den ganzen Tag nichts anderes machte, als Tiere zu töten: den Schlachter. Wie konnte man die kirchliche Regel „Du sollst nicht töten!“ mit diesem Berufsbild in Einklang bringen? Ein Schlachter konnte doch nichts von Moral halten, oder? Er musste absolut ungläubig sein. Waren etwa alle Schlachter Psychopathen? Sahen sie sich selbst als Killer?

Womöglich sahen sie sich als Auftragskiller. Sie töteten ja die ganzen Tiere im Auftrag der Metzgereien bzw der Konsumenten. Was macht das mit einem Menschen, der einem unschuldigen Kälbchen das Bolzenschussgerät auf die Stirn setzt und abdrückt? Diese Kälbchen wurden nur geboren, damit die Mutterkuh weiter Milch produzierte. Es hatte keiner Fliege etwas zuleide getan. Dennoch hatte es keine Existenzerlaubnis, da es nur Mittel zum Zweck war. Große unschuldige Augen schauten den Schlachter liebevoll an. Dieser darf sich bei seiner Arbeit von keinen Gefühlen leiten lassen, sofern er denn welche hat.

FUMP, und die Beine des Kälbchens versagen den Dienst. Keine Zeit nachzudenken. Das nächste Kälbchen wartet schon. FUMP. Wieder ein Kälbchen weniger auf dieser Erde. Und weiter geht es. FUMP. War ich etwa der einzige, der sich solche Gedanken machte?

Auch ein Soldat oder Killer durfte keine Gefühle zulassen. Auch sie mussten skrupellos töten. Oder gäbe es nicht auch eine Möglichkeit, wie wir alle friedlich im Park gemeinsam chillen könnten? Abschaffung des Geldes vielleicht? Umerziehung auf vegane Ernährung?

Die Veganer, die behaupten, dass sie keine Tiere töten würden, dachten nicht an den Bauern, der sein angebautes Obst und Gemüse sehr wohl gegen allerlei Tierzeugs verteidigt. Da werden Schnecken getötet und Käfer gemeuchelt, nur damit das Gemüse oder Obst irgendwann wohlbehalten im Geschäft ankommt. Und dann kauft es ein Veganer und sagt sich stolz: „wegen mir soll kein Tier sterben!“. Ein Zweck-Denken, wie es Kirchen auch anbieten. „Wenn Du so bist, wie wir Dich wollen, dann bist Du unschuldig bzw all Deine Schuld wird Dir vergeben werden!“

Wir töten alle Tiere. Manche Mönche fegen vor sich die Ameisen zur Seite, damit sie möglichst kein Tier zertrampeln. Doch auch sie töten den Käfer, welcher unter einem Stein krabbelt, wenn sie auf diesen Stein treten. Wahrscheinlich töten diese Mönche bedeutend weniger Tiere in ihrem Leben, als ein LKW-Fahrer nach einer einzigen langen Fahrt auf seiner Scheibe kleben hat, dennoch: Frei von Mord und Schuld ist kein einziger Mensch.

Es ist also lediglich die Anzahl der Toten, die von Mensch zu Mensch variiert.

Ich bin Andy. Ich bin 19 Jahre alt und mache gern solche Gedankenspielchen. Diese Gedankenspielchen kosten kein Geld, regen die Phantasie an und sind es Wert gedacht zu werden. Die einzige Art und Weise, wie solche Gedanken bezahlt werden mussten, war mit Zeit. Naja, und Zeit war genau das, wovon ich mehr als genug hatte. Mein Geld brauchte ich für meinen Persönlichen Computer.

Wir schreiben das Jahr 2010. Google Street View (Road Supervision) wurde vor wenigen Jahren eingeführt und mit Google Maps verknüpft. Mich interessierte das ganze Internet aber nur wenig.

Sicher war auch ich in diversen Social-Media-Plattformen angemeldet. Dort lachte auch ich herzhaft los, wenn ein Bericht im Fernsehen von einem User so kommentiert wurde: „Blutige Proteste im Iran? Ich hab mir das ganze über Google Earth angeschaut, da sind keine gewaltsamen Ausschreitungen zu sehen!“

Für alle, die Google Earth nicht kennen: es handelt sich um Satellitenaufnahmen, die bei gutem Wetter von nahezu allen Regionen dieser Erde gemacht wurden und über das Internet angesehen werden können. Diese Aufnahmen sind keinesfalls live! Gewöhnlich haben sie ein Alter von 2 Monaten bis 4 Jahren auf dem Buckel.

Weil ich in der Schule ebenfalls meinen Gedanken freien Lauf ließ, waren meine Noten nur in einfachen Fächern, wie Mathe und Deutsch gut. Vielleicht zählen gerade diese Fächer bei vielen Schülern zu den eher schwereren Fächern. Da beide Fächer jedoch auf eine gewisse Logik aufbauten, konnte ich gewisse Muster anwenden, die mich Punkten ließen. Egal, ob es „Einleitung / Hauptteil / Fazit“ war oder die Mitternachtsformel (abc-Formel), die Anweisung war klar, der Lösungsweg auch.

Aber schon die Anzahl der Zeiten im Fach Französisch brachten mich dazu, hier zu versagen. Oder Geschichtsdaten auswendig lernen, wann wo welcher Krieg war, darin erkannte ich einfach keinen Sinn. Krieg begann doch eigentlich schon viel früher, als das Datum, an welchem der erste Militärschlag stattfand. Wann flog wo der erste Stein, das war doch unwichtig. Anstatt Stein darf es auch ein Speer oder ein Jet oder eine Gewehrkugel sein. Jedenfalls kann man Krieg nicht auf einen bestimmten Tag festmachen.

Kriegsbeginn war wahrscheinlich 5 Jahre vorher. Bis man die Menschen so weit hat, dass sie die Nachbarn angreifen, zumindest aber die eigenen Truppen in einer solchen Tat unterstützen, dazu muss man viel Überzeugungsarbeit leisten. Propaganda nennt sich das. Hitler soll darin sehr gut gewesen sein. Sein Buch „Mein Kampf“ hat sich besonders in der politischen Klasse in Amerika als absolute Pflichtlektüre herausgestellt. Irgendwann will ich es auch einmal lesen. Aber erst musste ich die Schule überstehen.

Damit ich mich von meiner schlechten Leistung nicht zu sehr herunter ziehen lasse, spiele ich zum Ausgleich immer diese Ballerspiele, vor welchen uns die Eltern immer gewarnt haben. In meinem Fall nannte sich das Spiel Counter Strike (Half Life). Ich rannte in einer virtuellen Umgebung mit Gleichgesinnten durch die Gegend. Es gab verschiedene Waffen und zwei Teams. Mein Team sollte natürlich durch meine Mitwirkung gewinnen.

Bis ich überhaupt über das Web auf diesen virtuellen Spielplatz gehen konnte, vergingen zwei Jahre harten des Übens. Im Netz will man ja nicht gleich mit „Headshot“ begrüßt werden. Ziel ist es, ein festes Mitglied in einem Clan zu sein. Mein Clan hatte einen eigenen Server. Persönlich habe ich noch keinen Mitspieler des eigenen Clans kennengelernt, aber über Teamspeak (oder stot (speak to team)) laberten wir uns die Ohren weg. Wie alt die Mitspieler waren, oder welchen Beruf sie hatten, all das war im Spiel unwichtig. Hier zählte nur, wer welchen Gegner ausschaltete und dabei den coolsten Spruch brachte.

Mein Spruch war „Oooops, sorry!“. Damit hatte ich beim ersten Mal viele Fragezeichen eingesammelt. Beim zweiten Mal erklärte man mir, dass ich nichts falsch gemacht hätte. Beim drittem Mal checkten sie langsam, dass ich es nicht so ernst meinte. Irgendwann sagten es alle im Clan. Selbst wenn es einmal nicht 1 zu 1 kopiert wurde, dann kam „oder wie uri sagen würde: Oooops, sorry!“

uranov47 war mein Name im Netz, im Teamspeak wurde daraus schnell uri.

In der Schulklasse wusste keiner, dass ich zocke. Ich wollte auch nicht, dass deren Eltern mit meinen Eltern Krisengespräche führten, wo es darum ging, wie viel Zeit ich vor dem PC verbrachte und welche Gefahren von diesem Spiel ausgingen. Und da die Erwachsenen eh alle glaubten, dass ein Gamer automatisch irgendwann zum Amokläufer mutiert, musste man seine Leidenschaft besser geheim halten.

Ich zockte nach der Schule etwas und nach dem Abendbrot wieder. Es sind oft schnell einige Stunden. Keine Seltenheit, dass es dabei drei oder vier Uhr morgens wird. Den Sound höre ich über Kopfhörer, das Licht des Monitors fange ich mit einem Tuch etwas ein, damit die Nachbarn nicht ständig mein schimmerndes Zimmer sehen. Und wenn man nicht möchte, dass die Nachbarn mit deinen Eltern über den Sinn des Schlafens und das nächtliche Treiben des Sohnes reden, muss man zu solchen Mitteln greifen.

Damit jetzt kein falsches Bild entsteht: Ich bin kein dürrer Computer-Nerd, der nie das Tageslicht sieht und viel zu wenig Sport treibt. Ich gehe mindestens zwei Mal die Woche ins Gym, ein Fitness-Studio. Dazu liegen in meinem Zimmer zwei 10kg-Hanteln, die ich auch manchmal benutze. Im Fitness-Studio logged man sich mit einem MP3-Player ein. Dieser hat einen RFID-Chip, welcher am Eingang und beim Gehen ausgelesen wird. Dieser MP3-Player ist auch der Grund, warum im Fitness-Studio mit niemand mit einem spricht: jeder hört seine spezielle Trainings-Musik.

Im Clan reden wir schon seit Wochen nur über Final Shot. Final Shot soll der Nachfolger unseres Spieles werden. Die einschlägige Presse redet bereits in höchsten Tönen davon. Zum ersten Mal kann man über Google Earth und Maps und StreetView sich ein Land auswählen, worin man dann die örtlichen Gegebenheiten präsentiert bekommt. An diesem Ort muss dann ein Auftrag abgearbeitet werden. Dank der neuen Technik soll diese Umgebung der Wirklichkeit zum Verwechseln ähnlich sein.

Wir können es kaum erwarten. Wie konnten die Menschen nur vor 25 Jahren leben, als es das Internet noch gar nicht gab? Ohne Navigationsgerät in Urlaub fahren – wie war das überhaupt möglich? Sicher verfuhren sich die Menschen ständig. Oder wenn sie Hunger hatten, dann brauchten sie Proviant, damit sie nicht verhungerten. Heute sucht man im Navi nach dem nächsten Fast-Food-Laden seiner Wahl – fertig. Die Technik war der stetige Helfer unserer Zivilisation.

Ich bin froh, erst jetzt zu leben. So habe ich mein Lieblingsspiel, welches ich sonst niemals hätte spielen können. Mein Opa schaut immer Kopfschüttelnd auf meine Hobbies, weil der PC ihm so fremd ist. Wenn ich meinen Vettern und Cousinen bei Familienfeiern irgend welche Dinge im Netz zeige, staunt die ganze Familie. Dabei sind es nicht so aufregende Sachen. Meist sind es harmlose Filmchen.

Dabei beschäftige ich mich auch damit, wie man eine Webseite verändert, Passwörter knackt oder über selbstgebaute Formulare eMails verschicken kann, bei welchen man den Absender frei auswählen kann. All das waren keine Herausforderungen für mich.

So konnte ich beispielsweise vortäuschen, mein Vater hätte meiner Mum eine eMail geschrieben, da ich die Absende-Adresse ja frei auswählen konnte. Einfache Spielereien eben.

Im Clan zeigen wir uns gegenseitig, wie log-ins in Firmen-Netze geknackt werden konnten. Dazu brauchte man ein spezielles Programm, welches einfach alle möglichen Passwörter durchprobiert, und Zeit. Man kann manchmal aber auch erkennen, wo sich die Login-JA-Seite befindet und diese Seite einfach ohne zuvoriges Passwort direkt ansteuern. Es gibt noch weitere Möglichkeiten, die ich hier aber nicht verraten darf.

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